Der 5. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung
vom 28. Juni 2018.
1) Die Revision der Klägerin ist ohne Erfolg
geblieben. Ihr steht auf der Grundlage von § 307d Abs 1, Abs 2 S 1
SGB VI kein Anspruch auf eine zusätzliche Erhöhung des Werts ihrer
Altersrente unter Berücksichtigung ihres vor dem 1.1.1992 geborenen
Kindes zu. Hiergegen bestehen auch keine verfassungsrechtlichen
Bedenken. Zwar wird die Klägerin als Bestandsrentnerin gegenüber dem
Regelfall einer Berücksichtigung von drei Jahren KEZ (§ 56 Abs 1, 5
SGB VI) ab dem 1.7.2014 noch weiterhin insofern anders behandelt, als
bei ihr nur der 1. bis 12. Kalendermonat nach Ablauf des Monats der
Geburt als KEZ angerechnet wird und zusätzlich pauschal ein persönlicher
Entgeltpunkt Berücksichtigung findet. Damit teilen die Betroffenen im
Wesentlichen das Schicksal der von § 249 Abs 1 SGB VI erfassten
Zugangsrentner mit ebenfalls vor dem 1.1.1992 geborenen Kindern, bei
denen die KEZ 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt endet.
Auch im Rahmen weiterer Reformschritte war jedoch unverändert keine
vollständige Gleichstellung der Rentenbezieher mit vor dem 1.1.1992
geborenen Kindern und Versicherten mit nach dem 1.1.1992 geborenen
Kindern geboten. Der Gesetzgeber durfte insofern insbesondere
unverändert die Haushaltslage und die finanzielle Situation der
gesetzlichen Rentenversicherung sowie das Inkrafttreten zahlreicher
Regelungen berücksichtigen, die die leistungsrechtliche Position von
Eltern in der gesetzlichen Rentenversicherung verbessert haben,
berücksichtigen. Dies gilt umso mehr, als die Gruppe der Klägerin
zunächst gegenüber der generellen Behandlung von Bestandsrentnern in
§ 306 Abs 1 SGB VI ausnahmsweise insofern begünstigt wird, als das neue
Recht überhaupt Berücksichtigung findet. Gleichermaßen gegenüber dem
Regelfall der (maximal) dreijährigen wie der (maximal) zweijährigen
Anrechnung von KEZ bei Zugangsrentnern mit vor dem 1.1.1992 geborenen
Kindern ergeben sich durch die pauschalierende Vorgehensweise des
Gesetzgebers außerdem zusätzliche Vorteile: So kommt es für den 13. bis
24. Kalendermonat nach der Geburt des Kindes auf die tatsächlichen
Verhältnisse nicht an. Der Wert der Anrechnung von KEZ ist zudem -
anders als in § 70 Abs 2 S 2 SGB VI - nicht auf die
Beitragsbemessungsgrenze begrenzt. Keineswegs immer ist daher der
faktische Vergleichsfall die wertsteigernde Berücksichtigung einer
dreijährigen KEZ mit etwa 1 EP pro Jahr.
Sozialgericht Bayreuth
- S 7 R 132/15
Bayerisches Landessozialgericht - L 19 R 218/16
Bundessozialgericht - B 5 R 12/17 R
2)
Die Revision der Klägerin ist im Wesentlichen ohne Erfolg geblieben. Das
Urteil des LSG war lediglich aufzuheben, soweit es eine Entscheidung
auch über die während des Berufungsverfahrens mit Bescheid vom 18.7.2016
ergangene weitere Ablehnung einer Befreiung der Klägerin aufgrund ihres
neuen Status als Syndikus-Patentanwältin getroffen hat. Derartige
Regelungen betreffen nicht denselben Streitgegenstand und werden daher
nicht nach § 96 SGG Gegenstand des bereits anhängigen Klageverfahrens
(Beschluss des Senats vom 22.3.2018 ‑ B 5 RE 12/17 B, BeckRS 2018,
8896). Zwar steht der Zulässigkeit der Klage gegen den Bescheid vom
8.8.2012 und den Widerspruchsbescheid vom 21.11.2012, über die damit
allein zu entscheiden war, nicht der Verwaltungsakt vom 2.7.2007
entgegen, der eine Befreiung allein für die Zeit ab dem 1.12.2006 von
der damaligen Versicherungspflicht aufgrund der Beschäftigung bei der
Fa G ausspricht und damit das vorliegende Streitverhältnis nicht
erfasst. Die Klägerin hat aber materiell-rechtlich keinen Anspruch auf
Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Rentenversicherung als Beschäftigte der Beigeladenen zu 1. Die
angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht
in ihren Rechten. Wie der Senat bereits entschieden hat, setzt § 6 Abs 1
Nr 1 SGB VI voraus, dass ein und dieselbe Erwerbstätigkeit zur
Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung und gleichzeitig zur
Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung und
einer berufsständischen Kammer geführt hat. Die Erwerbstätigkeit bei der
Beigeladenen zu 1 kann dem Berufsbild der Patentanwältin jedoch nicht
zugeordnet werden. Die Rechtslage entspricht insofern derjenigen bei
Rechtsanwälten/innen (hierzu Urteil des Senats vom 3.4.2014 - B 5 RE
13/14 R, BSGE 115, 267ff), sodass die im Rahmen der Beschäftigung
erbrachte Erwerbstätigkeit für die Mitgliedschaft bei der Beigeladenen
zu 2 und die hierdurch parallel zur gesetzlichen Rentenversicherung
begründete öffentlich-rechtliche Sicherung ohne Bedeutung ist. Die
Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Versorgungen aufgrund
unterschiedlicher Voraussetzungen und unterschiedlicher, wenn auch
parallel ausgeübter Erwerbstätigkeiten zeigt sich im vorliegenden Fall
zudem besonders deutlich darin, dass der Zugang der Klägerin zur
Beigeladenen zu 2 nach den Feststellungen des LSG in örtlicher Hinsicht
allein durch den Kanzleisitz in Bayern begründet ist, während für
Patentanwälte/innen in Hessen weder eine gesetzliche Zuständigkeit
gegeben noch ein freiwilliger Zugang eröffnet ist.
Sozialgericht
Speyer - S 1 R 1256/12
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz - L 4 R
257/16
Bundessozialgericht - B 5 RE 2/17
3)
Die Revision der Beklagten war iS der Aufhebung und Zurückverweisung
erfolgreich. Der Senat kann auf der Grundlage der derzeit vorliegenden
Feststellungen des Tatsachengerichts nicht abschließend beurteilen, ob
alle Voraussetzungen für das vom Kläger begehrte
Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag in der
Arbeitslosenversicherung vorliegen. Die bisherigen Feststellungen lassen
bereits keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob einer
Versicherungspflicht auf Antrag möglicherweise eine nach § 28a Abs 2 S 1
SGB III vorrangige Versicherungspflicht nach § 25 Abs 1 S 1 SGB III
wegen einer entgeltlichen Beschäftigung entgegensteht.
Eine
Beschäftigung im Rechtsverhältnis zur DFG kommt von vornherein deshalb
nicht in Betracht, weil die Forschungstätigkeit des Klägers keine zu
Erwerbszwecken ausgeübte Tätigkeit ist. Insofern kommt es für die
geförderte Tätigkeit primär auf die in diesem Zusammenhang getätigten
Verrichtungen an, während dem Erhalt eines Stipendiums für sich kein
eigener Aussagewert zukommt. Diese Forschungstätigkeit wird nach ihrem
konkreten Förderzweck nicht in der Absicht der Erzielung von
Erwerbseinkommen ausgeübt, sondern ihrerseits erst durch eine
altruistische Vermögensübertragung ermöglicht. Nach den
Verwendungsrichtlinien der DFG soll mit dem vorliegenden Stipendium
herausragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ermöglicht
werden, "sich auf eine wissenschaftliche Leitungsposition vorzubereiten"
und in dieser Zeit weiterführende Forschungsthemen nach eigener Wahl zu
bearbeiten. Das Stipendium dient damit der Förderung des
wissenschaftlichen Nachwuchses und soll den Stipendiaten bei der
Sicherung seines Lebensunterhaltes entlasten und eine Erwerbstätigkeit
während der wissenschaftlichen Tätigkeit in Vorbereitung für die
Berufung auf eine Dauer-Professur ganz oder zumindest teilweise
entbehrlich machen (vgl zum Habilitationsstipendium bereits BSG Urteil
vom 14.11.1978 - 7 RAr 61/77 - RdNr 18).
Es fehlen jedoch
jegliche Feststellungen des LSG dazu, ob, in welcher Weise und in
welchem Umfang der Kläger eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt nach
dem 31.5.2014 bei der Universität M ausübte. Insofern fehlt es an
nachvollziehbaren Grundlagen für die Annahme des LSG, dass zwischen dem
Kläger und der Universität M "keine rechtlichen Beziehungen mehr"
bestanden. Scheidet eine vorrangige Versicherungspflicht aus, wird
festzustellen sein, ob bei dem Kläger eine selbstständige Tätigkeit iS
einer auf Dauer angelegten, in persönlicher Unabhängigkeit berufsmäßig
zu Erwerbszwecken ausgeübten Tätigkeit vorliegt. Die von der DFG
geförderte Forschungstätigkeit übt der Kläger - wie bereits ausgeführt -
nicht zu Erwerbszwecken aus. Deshalb könnte die Versicherungspflicht auf
Antrag allein in der Tätigkeit des Klägers als Autor und Vortragender
eine Grundlage finden.
Sozialgericht Marburg - S 2 AL 64/14
Hessisches Landessozialgericht - L 7 AL 36/16
Bundessozialgericht - B
5 AL 1/17 R
4) Die Revision der
Beklagten führt zur Änderung des angegriffenen Urteils und zur
Zurückweisung der Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG auch
insofern. Dem Kläger steht für die Zuflussjahre 1974 bis 1989 kein
Anspruch auf Aufhebung früherer Festsetzungen des Höchstwerts erzielter
Arbeitsentgelte nach dem AAÜG und auf zusätzliche Berücksichtigung
geschätzter JEP als weitere Arbeitsentgelte zu. Der Bescheid vom
28.10.2009 und der Widerspruchsbescheid vom 4.2.2010 sind rechtmäßig und
verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Das LSG hat
festgestellt, dass dem Kläger in den streitigen Jahren tatsächlich JEP
zugeflossen sind, weil dies zwar nicht (im Vollbeweis) nachgewiesen,
aber glaubhaft gemacht, dh "überwiegend wahrscheinlich" sei. Diese
Feststellung ist für den Senat bindend (§ 163 SGG), weil der Kläger im
Rahmen seiner sinngemäß erhobenen Gegenrüge Rechtsverstöße nicht
schlüssig aufgezeigt hat. Ebenso hat das Berufungsgericht auch negativ -
und mangels durchgreifender Gegenrügen auch insofern bindend -
festgestellt, dass die Höhe der einschlägigen Zahlungen weder
nachgewiesen noch glaubhaft gemacht ist. Dagegen fehlt es an einer
Bindung an die weitergehende Feststellung des LSG, soweit das LSG die
Höhe der JEP auf fünf Sechstel von 70 % des im jeweiligen Planjahr
erzielten durchschnittlichen Bruttomonatslohns geschätzt hat. Wie der
Senat in ständiger Rechtsprechung bereits entschieden hat, geht das
Berufungsgericht insofern von rechtlich unzutreffenden Annahmen
hinsichtlich des Beweismaßes aus, die der sachlichen Prüfung durch das
BSG unterliegen. Das AAÜG enthält jedenfalls für Fälle der vorliegend
zur Entscheidung stehenden Art abschließende Regelungen zu Möglichkeiten
und Folgen einer Beweiserleichterung hinsichtlich der Höhe des zu Grunde
zu legenden Verdienstes.
Sozialgericht Dresden - S 16 RS 304/10
Sächsisches Landessozialgericht - L 5 RS 706/12
Bundessozialgericht -
B 5 RS 7/17 R
5) Die Revision des
Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Ihm steht die begehrte Rente für
besonders langjährig Versicherte mangels Erfüllung der Wartezeit nicht
zu.
Der Kläger hat nach den Feststellungen des LSG bis Dezember
2012 536 Kalendermonate zurückgelegt, die auf die 45-jährige Wartezeit
(= 540 Monate) anrechenbar sind. Die darüber hinaus von Januar 2013 bis
Juni 2014 zurückgelegten Monate des Bezugs von Arbeitslosengeld (Alg),
einer Entgeltersatzleistung der Arbeitsförderung (§ 3 Abs 4 Nr 1
SGB III), sind nach den Vorgaben des § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 Buchst a
Teilsätze 2 und 3 SGB VI nicht anrechnungsfähig.
Zwar finden
Zeiten des Bezuges einer Entgeltersatzleistung nach § 51 Abs 3 S 1 Nr 3
Teilsatz 1 Nr 3 Buchst a SGB VI grundsätzlich Anrechnung auf die
45-jährige Wartezeit, doch gilt dies ausnahmsweise nicht, wenn diese
Zeiten - wie vorliegend - innerhalb der letzten zwei Jahre vor
Rentenbeginn liegen und der Bezug von Entgeltersatzleistungen der
Arbeitsförderung (iS einer Rückausnahme) nicht durch eine Insolvenz oder
vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt ist.
Eine
teleologische Reduktion des § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 Buchst a Teilsatz 2
SGB VI in dem Sinn, dass in den Zeitraum der letzten zwei Jahre vor dem
Rentenbeginn nur Zeiten des Bezuges einer Entgeltersatzleistung
einbezogen werden, die nach dem 1.7.2014 oder einem anderen Zeitpunkt
liegen, kommt entgegen der Revision nicht in Betracht. Eine planwidrige
Regelungslücke, die durch die Hinzufügung einer einschränkenden Norm
ausgefüllt werden könnte, ist nicht erkennbar. Insbesondere ist dieser
Gesichtspunkt im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich erörtert worden.
Zum anderen fehlt es an einer vollständigen Geschäftsaufgabe
des Arbeitgebers, die vorliegend aufgrund der abschließenden
gesetzlichen Regelung allein als Rückausnahmefall in Betracht kommt. Der
Bezug von Alg ist nur dann durch eine vollständige Geschäftsaufgabe des
Arbeitgebers bedingt, wenn das gesamte Unternehmen des konkreten
rechtlichen Arbeitgebers als Basis vorhandener Beschäftigungen wegfällt.
Dieses Verständnis des im Gesetz nicht näher umschriebenen und auch
durch den Sprachgebrauch nicht eindeutig bestimmten Begriffs der
"vollständigen Geschäftsaufgabe" ergibt sich insbesondere aus Sinn und
Zweck der Norm, eine missbräuchliche Frühverrentung von vornherein
auszuschließen, sowie aus systematischen Bezügen zum rechtlich
gleichgeordneten Rückausnahmetatbestand der Insolvenz (vgl hierzu Urteil
des Senats vom 17.8.2017 - B 5 R 8/16 R - SozR 4-2600 § 51 Nr 1
RdNr 23ff, auch zu Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Dies begegnet
auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Sozialgericht
Lüneburg - S 33 R 445/14
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen - L
2 R 176/16
Bundessozialgericht - B 5 R 25/17 R